“Ich verstehe zwar nichts, aber ich mache alles mit.” – Judith Wiesner über Kinderrechte im Krankenhaus
03.06.2025

Wie erleben Kinder und Jugendliche einen Aufenthalt im Krankenhaus? Werden sie altersgerecht informiert, ernst genommen und beteiligt? Judith Wiesner, Projektbeauftragte für Kinderrecht am Bürgerhospital und Clementine Kinderhospital in Frankfurt, geht diesen Fragen auf den Grund – mit einem zweiteiligen Beteiligungsprojekt, in dem junge Patientinnen und Patienten ihre Sicht schildern können. Für dieses Engagement wurde sie im März 2025 mit dem Vordenker-Award des Bibliomed-Verlags ausgezeichnet. Zwei Monate nach der Preisverleihung spricht sie über erste Ergebnisse, strukturelle Hürden und ihre Vision für ein kinderfreundliches Krankenhaus.
Frau Wiesner, im Rahmen Ihres Projekts führen Sie viele persönliche Gespräche mit Kindern und Jugendlichen. Gab es eine Begegnung oder Rückmeldung, die Sie besonders bewegt oder inspiriert hat?
Ja, ich habe im letzten Jahr viele Interviews geführt. Dabei sagte mir ein Kind: „Ich verstehe zwar nichts, ich mache aber alles mit“. Das hat mich bewegt, weil es so deutlich zeigt, dass Kinder im Krankenhausalltag und der Kommunikation vieles nicht verstehen, aber (noch) nicht in der der Lage sind, dies zu äußern oder die Erwachsenen direkt zu fragen. Sie „machen dann alles mit“. Unser Ziel ist, dass Kinder und Jugendliche gut informiert werden und sich dann aufgrund von Verständnis, Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz auf die Behandlung einlassen können. So werden Kinder ernst genommen, gewinnen Sicherheit und erlangen Gesundheitskompetenzen.
Seit Projektstart im April 2024 haben Sie wertvolle Einblicke in die Perspektive junger Patientinnen und Patienten gewonnen. Welche konkreten Veränderungen im Klinikalltag konnten durch die Rückmeldungen bereits angestoßen werden?
Inzwischen haben wir Rückmeldungen der Kinderperspektive an die Stationsteams etabliert. Dort schauen wir uns die Antworten aus den Fragebögen an. Dabei wird deutlich, was Kinder und Jugendliche im Krankenhaus nicht verstehen, worüber sie sich beschweren und was gut für sie ist. Durch diesen Austausch schaffen wir noch mehr Bewusstsein für Kinderrechte und die Bedürfnisse der jungen Patient:innen. Die Teilnehmenden nehmen Anregungen für ihren Klinikalltag mit und sehen auch, was bereits gut etabliert ist.
Im Clementine Kinderhospital wurde das W-lan verstärkt, das war für viele Jugendliche ein großer Veränderungswunsch. Für sie ist es wichtig, während dem Krankenhausaufenthalt auch mit Familie, Freunden und der Schule in Kontakt bleiben zu können. im Bürgerhospital haben wir einen Wartebereich mit Spielen ausgestattet, da Kindern während der Wartezeit spielen möchten. Derzeit werden auch Bereiche in den Blick genommen, die von Kindern mit Behinderungen als Barrieren empfunden werden.
In den Interviews wurde deutlich, dass viele Kinder und Jugendliche nicht wissen, welche Rechte sie haben. Die UN-Kinderrechtskonvention fordert dazu auf, die Kinderrechte bekannter zu machen. Wir setzen dies in Gesprächen um, führen Plakataktionen und Informationsveranstaltungen durch und planen Fortbildungen für Mitarbeitende.
Die Beteiligung von Kindern an Entscheidungen im Krankenhaus ist eine große Chance – bringt aber sicher auch Herausforderungen mit sich. Wo sehen Sie die größten Hürden auf diesem Weg?
Eine Hürde ist, dass Beteiligung an Entscheidungen weder im System Krankenhaus noch für Kinder und Jugendliche im Alltag selbstverständlich ist.
Im Krankenhaus sind Kinder „abhängig“ von Erwachsenen, die sie behandeln und pflegen. Sie sind in einem ungewohnten Raum, haben oft wenig Vorerfahrungen und sind zudem krank. Durch Beteiligung können wir Kinder in dieser Situation stärken. Dies erfordert ein Umdenken und die Abkehr von gewohnten Prozessen, das ist immer herausfordernd. Entscheidungsmöglichkeiten geben, das fängt im Kleinen an, zum Beispiel bei der Entscheidung, ob die Medizin als Saft, Tablette oder evtl. intravenös verabreicht wird. Abhängig vom Alter sollten Kinder und Jugendliche in die Behandlungsplanung einbezogen werden und dann zum Beispiel auch an der Gestaltung von Räumen beteiligt werden. Kinder haben das Recht, zu allen Angelegenheiten, die sie betreffen, ihre Meinung zu sagen. Das ist in einem Krankenhaus ungewohnt und braucht im Vorfeld viel Information aller Beteiligten, Rückendeckung der Leitungsebene und den Willen zu Veränderungen.
Wenn Sie in die Zukunft blicken: Wie könnte ein Krankenhaus aussehen, in dem Kinderrechte vollständig im Alltag verankert sind?
Ein solches Krankenhaus kann es nur in einer Gesellschaft geben, die Kinderrechte achtet und umsetzt. Wie ein Krankenhaus dann aussieht, in dem alle jungen Patientinnen und Patienten geschützt, gefördert und beteiligt werden, entscheiden die Kinder und Jugendlichen in jedem Fall mit!
Was wünschen Sie sich persönlich für die weitere Entwicklung des Projekts – und welche Impulse möchten Sie anderen Kliniken mit auf den Weg geben?
Ich wünsche mir, dass dieses Projekt Kindern, Jugendlichen, Eltern und Mitarbeitenden zeigt, dass die Kinderrechte alltagstauglich sind und dass wir alle davon profitieren, wenn diese gelebt und geachtet werden.
Die UN-Kinderrechtskonvention ist in Deutschland geltendes Recht, auch für Kinder im Krankenhaus! Daher sollten Kinder und Jugendliche in allen Kliniken nach ihrer Meinung gefragt und beteiligt werden. Ein Weg dafür kann, wie bei uns, ein Projekt mit Interviews und Fragebögen sein. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, ich bin gespannt auf weitere Initiativen.